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Kunstpreis der Stadt Schwabach 2019

Ortung 11 – Im Zeichen des Goldes vom 3. bis 11. August 2019

 

Die Jury für die Ortung 2019 hatte letzten Mittwoch einen spannenden Rundgang durch den Ortung-Parcours absolviert. Wie jedes Mal wurde viel diskutiert, abgewogen und nach den Kriterien der „Ortung“ begutachtet. Diese sind zum einen das Thema Gold und zum andern der Raumbezug der Arbeiten. Beide Kriterien wurden unterschiedlich bewältigt und haben beeindruckende Werke entstehen lassen. 

Schließlich hat die Jury nach immerhin 6 Stunden harten Ringens den Kunstpreis der Stadt Schwabach 2019 der Künstlerin Birgit Nadrau für ihre Rauminstallation „Invasion II“ im ehemaligen Ladengeschäft Prell zugesprochen.

Die in Erlangen geborene Künstlerin hat zunächst Kommunikationsdesign in Nürnberg studiert, dann Freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg bei Prof. Diet Sayler und Prof. Eva von Platen, von der sie 2007 zur Meisterschülerin ernannt wurde, sowie an der Akademie der Schönen Künste in Krakau.

Zahlreiche Ausstellungen, Preise und Auszeichnungen folgten.

Seit 2009 ist Birgit Nadrau auch als Kuratorin und Mitgaleristin der Galerie Bernsteinzimmer in Nürnberg tätig. Sie lebt und arbeitet in Nürnberg und Leipzig.

 

Die heute ausgezeichnete Arbeit von Birgit Nadrau ist eine schlüssige Installation im vorgegebenen Raum. Mit viel Liebe zum Detail hat die Künstlerin aus unscheinbaren alltäglichen Gegenständen und einem heruntergekommenen Raum neue Sinnzusammenhänge und eine außergewöhnliche Ästhetik geschaffen. Dabei berücksichtigt sie historische und formale Gegebenheiten, wirft gleichzeitig elementare Fragen auf und lässt so ein Kunstwerk von außerordentlicher Stringenz und Dichte entstehen.

 

Das durch jahrelangen Leerstand verwahrloste ehemalige Eisenwarengeschäft scheint von Massen insektoider Wesen befallen zu sein. Jeweils 2 kleine Metallwinkel aus goldfarbenem Messing, wie es sie wohl auch in der Eisenhandlung Prell einmal gab, sind zu einer Art Insekt zusammengeschraubt und bevölkern Einzeln oder in Gruppen Wände und Türen, sie quellen aus Öffnungen hervor und finden sich sogar an einem zurückgelassenen Besen.

Obwohl die Formen aus gleichen Elementen zusammengefügt sind, erhalten sie durch unterschiedliche Kombination eine individuelle Form und machen in der Masse einen lebendigen Eindruck, besonders bei unterschiedlichem Lichteinfall, der die Tierchen lebendig bewegt schillern lässt. 

Das harte industriell hergestellte Material gewinnt dadurch eine Ambivalenz zwischen anorganisch und organisch. Der Betrachter braucht eine Weile, bis er zu einem Aha-Effekt kommt. Dann erkennt er ein gewohntes Grundmuster von 2 Flügeln / 2 Winkeln, das kollektive Erinnerungen und archetypische Bilder von Insekten hervorruft. So erscheint uns die „Invasion“ prima vista phänomenologisch bekannt und geläufig zu sein, wirkt aber gleichzeitig wieder fremd. Das liegt auch daran, dass Birgit Nadrau diese Installation auch als Zeichnung im Raum versteht, so dass das Changieren zwischen grafischen und plastischen Elementen einen ganz eigenen ästhetischen Reiz entwickelt.

 

Was die Jury besonders beeindruckte, ist die äußerst konsequente Art und Weise, wie mit dem Raum als Ort und als historischer Bezugsrahmen umgegangen wird.

Es entsteht ein allgemeiner Raumbezug, indem dieser durch die Installation als Raumkontinuum, aber auch als Transformation eines einstmals wertigen Raums über den Umweg eines seines Wertes verlustig gegangenen Raums zu einem wieder wertvollen Raum mit eigener Bildästhetik interpretiert wird. 

Es besteht aber auch eine konkrete Verortung durch den historischen Bezug: Der konkrete Schwabachbezug lässt nostalgische Erinnerungen an das Eisenhandelsgeschäft – einstmals eine Institution in der Stadt -, an eine goldene Vergangenheit entstehen. Im Spannungsfeld zwischen diesem historischen Bezugsrahmen und der allgemeinen künstlerischen Aussage bewegt sich der Betrachter mit einer subjektiven Raumwahrnehmung.

 

Zunächst braucht der Betrachter eine Weile, bis er das ganze Werk erfassen kann, da sich die Metallwesen mehr im hinteren Bereich befinden. Neben der Dreidimensionalität öffnet sich durch die Besucherdynamik die zeitliche Dimension und der Raum wird aktiviert. Die Rezeption erfolgt also sukzessive, und der Betrachter wird immer mehr hineingezogen in eine Position zwischen Verwunderung bis Abwehr – wer hat schon gerne Ungeziefer im Haus – und Faszination. 

Der so ausgelöste Erfahrungsprozess lässt weiterführende Fragen allgemeiner Natur auftauchen, wie zur Verödung von Innenstädten oder zum Sterben des innerstädtischen Einzelhandels: warum steht der Laden leer, was passiert mit dem sich selbst überlassenen Raum, wird dieser wieder ein wertiges Geschäft zur Stärkung der Innenstadt oder ein Gebäude für einen gesichtslosen Global Player oder gar einen Billiganbieter. 

Der Raum bekommt durch die Installation von Birgit Nadrau und die damit aufgeworfenen örtlichen wie überörtlichen Fragen eine neue Wertigkeit und kann auch als Frage an die Stadtentwicklung verstanden werden.

 

Insgesamt also ein orts- und situationsspezifisches Werk, eine witzige, hintergründige, aber auch ernsthafte Installation, die ganz verschiedene Ebenen anspricht und thematisiert und dies stimmig in einem vorgegebenen Raum umsetzt. 

Dafür wird Birgit Nadrau der Kunstpreis der Stadt Schwabach 2019 zuerkannt.

 

Text: Dr. Andrea M. Kluxen

Kulturreferentin des Bezirks Mittelfranken 

 


Künstlerin der Metropolregion Nürnberg, 2018

https://www.metropolregionnuernberg.de/projekte/laufende-projekte/kuenstlerinnen-der-metropolregion-nuernberg/birgit-nadrau

 

Birgit Nadrau (Nürnberg, Leipzig), Künstlerin, Kuratorin, Galeristin

Nach dem Studium des Kommunikationsdesigns und etlicher Jahre Agenturtätigkeit begann Birgit Nadrau (1971 in Erlangen geb.) 2003 an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg Freie Malerei zu studieren. Ihre Professoren waren Diet Sayler und später Eva von Platen, die sie schließlich zur Meisterschülerin ernannte. Für ihre Arbeiten erhielt sie Förderpreise und Auszeichnungen.

 

Birgit Nadrau entwickelt kontinuierlich hochsensible Arbeiten, die von Genauigkeit und Liebe zum Detail leben. Sowohl in den Gemälden als auch den Zeichnungen auf dünnem Aluminiumblech, aber auch in ihren Objekten macht Nadrau eine lautlose Welt aus Ding und Natur in ihrer Normalität sichtbar. Mit subtilen, veristischen Portraits, reduziert auf wesentliche Aussagen hebt sie Personen auf besondere Weise aus dem Alltagsgeschehen heraus. Der Verzicht auf reale Hintergründe, an deren Stelle sie vollflächig Schlagmetall setzt, verleiht den Dargestellten eine Aura, die an die Transzendenz mittelalterlicher Goldgrundmalerei erinnert. Junge Menschen, die still mit der virtuellen Welt ihres Smartphone kommunizieren oder ihren Blick in die Ferne schweifen lassen. Mit diesen Werken zeigt die Künstlerin kontemplative Sichten auf ihre Zeitgenossen, die dem Stress und der Bilderfülle des Alltags entronnen scheinen. Die Werkgruppe ihrer Ast- und Wasserbilder widmet sie der fränkischen Landschaft. Nadrau befreit sie von ihrer Topografie und lässt in den Gemälden nicht nur ihre Liebe zur Natur zum Bild werden, sondern setzt sich auch mit ihrer eigenen Verortung auseinander.

In präzisen Zeichnungen auf dünnstem Aluminiumblech interpretiert sie die Virtualität auf ihre Weise und findet einen Weg zwischen Technoidem und nostalgischer Anmutung.

Ihre Installationen würdigen den banalen und unscheinbaren Gegenstand, würdigen die Absurdität so mancher Situation. Multipliziert und in ein Ordnungsschema versetzt, verleiht die Künstlerin Gegenständen eine außergewöhnliche Ästhetik. Durch Struktur und Regelwerk erhält das Alltägliche (das können sowohl Artikel aus dem Supermarkt als auch Erinnerungsstücke aus der eigenen Familiengeschichte sein) einen erweiterten sowie auch neuen Sinnzusammenhang.

 

Ihre Gabe zu genauer Beobachtung des Geschehens in Welt und Kunst kommt ihr als Galeristin und Kuratorin der Nürnberger Galerie Bernsteinzimmer, dem Verein zur Förderung der Schönen Künste zugute, die sie zusammen mit Anders Möhl, Helga von Rauffer und Fredder Wanoth betreibt. Seit 1997 – Nadrau stieß 2009 dazu – entsteht in diesem „Hort der Freiheit“ ein extraordinäres, hochkarätiges Programm fernab von gewohnten Pfaden.

In Erlangen geboren, lange in Nürnberg lebend und arbeitend hat sich Birgit Nadrau Anfang 2016 entschlossen, ein Atelier in der Leipziger Spinnerei zu beziehen, inmitten des pulsierenden Kunstquartiers, inmitten der boomenden Stadt. In diesem großzügigen Raum hört sie in sich hinein und arbeitet inspiriert von der Stille stringent an ihren Projekten und Werken weiter.

 

Text: Barbara Leicht, M.A., Kunsthistorikerin 

 

Leiterin Kulturamt der Stadt Neumarkt in der OPf.